Literatur hautnah – „…um zu wissen, was passiert…“

22.04.2016 – MG                             HIER mehr Fotos

Eröffnung der Buchmesse Main-Kinzig / Nidderau mit Rufus Beck

Lesung_Rufus_Beck_016Es gibt sie noch – Menschen, die Bücher lesen. Seien es die echten, die man in Händen hält, sei es das geschriebene Wort in einem Book Reader oder die intensivste Form als Hörbuch. Zur Eröffnung der 17. Buchmesse Main-Kinzig / Nidderau im Bürgerhaus Ostheim hatte man mit Rufus Beck einen Vorleser par excellance eingeladen und entsprechend groß war der Andrang von Besuchern. 250 Lesehungrige hatten sich eingefunden, um Ausschnitten aus der Geschichte von „Garp und wie er die Welt sah“ zu lauschen.

Als „Leuchtturm für die Stadt“ bezeichnete Bürgermeister Gerhard Schultheiß die Buchmesse in seiner Begrüßung, bevor er Rufus Beck als die markanteste Stimme Deutschlands ankündigte.

Und dann betritt Beck die Bühne. Bevor er auf einem Hocker in der Bühnenmitte Platz nimmt, versteht er es mit wenigen Sätzen charmant und locker plaudernd über sein Eintreffen in Nidderau, die Zuhörer auf seine Seite zu ziehen. Mit dem Zug ist er gekommen und musste verwundert feststellen, dass Nidderau mehrere Bahnhöfe hat. Wie groß muss Nidderau sein??  Leider warteten keine Taxen am Bahnhof, um ihn ins Hotel zu bringen. Der Fußmarsch führte mit dem Handy als Navi durch eine endlos lange Straße mit nur 3 Häusern laut Google, obwohl er ganze Reihen von Häusern sah. Endlich im Hotel seine Frage, ob er zu Fuß zur Veranstaltungshalle laufen könne. „Klar, wenn Sie 2 Stunden Zeit haben!“  Wie groß scheint Nidderau zu sein… ??

Nun aber auf den Hocker und man spürt von Anfang an diese riesige Begeisterung an dem was er tut, Begeisterung für das Buch, für Geschichten, fürs Vorlesen. Das Hörbuch ist seine Leidenschaft. Es ist auch eine Herausforderung. Beim Lesen kann man scheinbar langweilige Stellen überfliegen, als Vorleser muss man sie interessant gestalten und jedem Wort durch die sprachliche Gestaltung Aufmerksamkeit verleihen. Das ist seine Berufung.

„Garp und wie er die Welt sah“ von John Irving ist ein Buch mit unglaublichen Themen, in dem skurrile, absurde Dinge passieren. Es ist ein Meisterwerk voll erzählerischer Kraft. 3 Themenbereiche umfasst dieses Kultbuch von John Irving: Literatur, Familie und Sex. Der Roman umfasst die Lebens- und Familiengeschichte von T.S. Garp in einer Mischung aus Realismus und Absurdität. Lustiges und Entsetzliches stehen dicht nebeneinander, Fantasie schafft Realitäten.

Lesung_Rufus_Beck_014Aus diesem großen Werk hat Beck für das Nidderauer Publikum 3 Geschichten ausgewählt.  Den Anfang macht die „Hundegeschichte“, in der Garp seinem Sohn Walt eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Es ist unglaublich zu beobachten, wie Beck in die Rollen der Beteiligten schlüpft, von denen jeder seine eigene Sprache und Stimme hat. So spricht er mit mehreren Zungen, mal still und ängstlich, mal wild gestikulierend. Und die Zuhörer folgen ihm, fiebern mit, hängen an seinen Lippen, denn sie wollen nur eins – wissen, was passiert und  wie die Geschichte ausgeht. Tief verwoben erkennt man, dass sie von einem der großen Themen handelt – die Sorge der Eltern um ihre Kinder und wie man sie schützen will.

Die 2. Geschichte, die Beck interpretiert, ist das 1. Kapitel und damit die Grundlage des gesamten Romans. Hierin wird erzählt, wie alles anfing.  Jenny Fields ist Krankenschwester und will ein Kind, aber keinen Mann.  Sie benutzt die Erektion des im 2. Weltkrieg schwer verwundeten  Sergeant Garp und gibt dem  so gezeugten Kind dessen Namen. Auch hier ist es phänomenal zu beobachten, wie Rufus Beck in die verschiedenen Charaktere eintaucht und ihnen eine Stimme gibt.

Nach der Pause geht es dann richtig zur Sache. So soll es laut Beck schon Leute gegeben haben, die nach kurzer Zeit den Saal verließen, aber in Ostheim verfolgten alle Zuhörer atemlos das grausame Geschehen. Es handelt von einer Vergewaltigung, bei der sich das Opfer mit dem Messer zur Wehr setzt, was in einem blutrünstigen Gemetzel endet, ein Horrorszenarium ohne gleichen. Beck lebt dieses Spektakel, das wie auch vorher schon als Geschichte in der Geschichte erzählt wird und der Zuhörer findet sich gleichzeitig in der Person wieder, die diesen Horrorbericht gelesen hat. Und man ist sich einig in der Beantwortung der Frage, warum man so etwas überhaupt liest. Es ist die gleiche Antwort, die auch Becks Tochter Sarah ihrem Vater gegeben hat, nachdem sich die 10jährige irrtümlich die CD mit dieser Story als „Gute-Nacht-Geschichte“ angehört hatte: „Ich wollte wissen, was passiert!“  

Das ist wohl auch das Fazit dieses bemerkenswerten Abends mit einem genialen Rufus Beck, der erklärt, warum man so intensiv zuhört und so versunken Bücher liest – man will wissen, was passiert.

Eine großartige Eröffnung der Buchmesse und Riesenapplaus für Rufus Beck.

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